Auf meiner 3-monatigen Reise von März bis Juni 2015 habe ich plötzlich bemerkt, dass es mir scheinbar nicht gelingt, meinen Hund Willi einfach zu nehmen wie er ist. Wann immer er aus dem Rahmen fällt, mache ich ihm und mir Vorwürfe, hadere mit der Welt, frage warum, warum, warum und grübele darüber, wann hat wer wohl was falsch gemacht.
Das ist mir so noch nie so deutlich geworden. Offensichtlich kann ich einfach nicht akzeptieren, dass er ist wie er ist. Ständig will ich ihn ändern und "verbessern" und "korrigieren", was wiederum kein Wunder ist, denn ich komme aus einer Familie, in der niemand je gut genug war. Ich habe diese Einstellung also mit der Muttermilch aufgesogen ; )
Individuelle Grenzen akzeptieren
Seit Wochen spukt mir diese nun wirklich nicht weltbewegende Erkenntnis durch den Kopf, und ich habe mir vorgenommen, dass sich das dringend ändern muss, wenn wir weiterkommen wollen, wenn das Leben leichter werden soll.
Mein Lernziel: Lerne deinen Hund zu akzeptieren, wie er ist. Ohne Wenn und Aber.
Seitdem tut sich was, ganz heimlich und schleichend. Plötzlich sehe ich Dinge, die ich vorher so bewusst nie bemerkt habe.
Willi möchte so gern gefallen! Er gibt sich solche Mühe! Und ganz oft klappt es toll.
Ich konzentriere mich aber immer nur auf die 10 oder 20 Prozent, die nicht optimal laufen.
Ich meine damit nicht, dass ich erwünschtes Verhalten nicht belohne - dann hätte ich als Trainerin der positiven Verstärkung versagt. Ich belohne natürlich ständig und viel, vor allem mit Worten, die helfen ihm sehr. Ich meine damit, dass sich meine innere Haltung verkrampft und ängstlich auf das konzentriert, was schief gehen könnte! Denn bei meinem Hund bin ich zu allererst mal "Hundemama" und nicht Trainerin. Hier mache ich die gleichen Fehler, wie jeder andere Hundebesitzer auch.
Und so übersehe ich, wie sehr Willi sich anstrengt, alles gut zu machen. Aber manchmal ist es eben einfach zu viel für ihn und ein "Zusammenreißen", wie der Mensch das immer so locker erwartet, vollkommen unmöglich. Dann ist die Anspannung so groß, dass sie ihren Weg nach draußen sucht. Nur vorher ist schon so wahnsinnig viel abgelaufen, das habe ich nie wirklich bewusst wahr genommen.
Er strengt sich so an!
Neulich sitzt er auf meinem Schoß und wir gucken aus dem Fenster. Da kommt ein anderer Hund in Sichtweite, ein Reiz, der ihn gewöhnlich sofort zum Ausrasten bringt. Ich halte ihn locker im Arm und rede gut zu und wirke beruhigend auf ihn ein. Da meine Hand auf seiner Brust liegt kann ich fühlen, wie es sich von ganz tief unten nach oben hocharbeitet. Ganz langsam - denn er reißt sich wirklich zusammen! - kommt der Ausbruch näher. Er atmet schneller und schneller und gepresster, er fängt leise an zu schnauben, wird immer lauter, versucht es immer noch zu unterdrücken, doch am Ende - der andere Hund verschwindet nur langsam aus unserem Sichtkreis - ist es zu viel und seine Aufregung und Wut sucht sich ein Ventil, und er ist nicht mehr zu halten.
Ich konnte seine enorme Mühe physikalisch fühlen, und gleichzeitig kam die Erkenntnis:
Er rastet nicht einfach so aus. Er ist so gut trainiert, dass er gelernt hat, seine Impulse mit ENORMER Kraftanstrengung zu kontrollieren und gibt alles - bis es einfach zu viel wird.
Seit diesem Tag hat sich meine Denke geändert. Die Momente, in denen es nicht klappt, sind plötzlich nicht mehr wichtig und schlimm. Es sind die Momente, in denen er alles gibt, um ruhig zu bleiben und es auszuhalten, die bedeutend sind. Ich bin plötzlich sehr stolz auf ihn, ich denke nicht mehr "du Problemhund", sondern ich sehe seine Mühen und auch sein Leiden - denn er ist auch nicht glücklich in einer Welt, die ihm offenbar so viele Herausforderungen schickt.
Seitdem bin ich viel geduldiger und gelassener. Mein Anspruch an ihn hat sich grundlegend geändert. Ich will nicht mehr den perfekten Hund aus ihm machen.
Ich beginne tatsächlich, ihn zu nehmen wie er ist: Schnell aufgeregt, höchst reaktiv, impulsiv, nach vorne gehend, ein HB-Männchen.
Er ist wie er ist!
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Na und, dann bekommt er eben in schwierigen Situationen einen Maulkorb auf, ich schäme mich nicht deswegen und stehe ganz offen dazu.
Der bietet mir nämlich die Möglichkeit, mich mehr zu entspannen und es ihm damit ein Stück leichter zu machen. Und heißt nicht, dass ich versagt habe, wie ich zunächst dachte.
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Na und, dann pöbelt er eben mal jemanden an. Wenn es so sein muss, muss es so sein. Mit den Werkzeugen aus dem Training der positiven Verstärkung, durch ruhige Worte und unverkrampftes Auftreten bekomme ich ihn sofort wieder zurück in seine denkende Gehirnhälfte. Er braucht eben einfach Hilfe, und die soll er bekommen.
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Na und, dann ist er eben ein Aufgeregter. Viel wichtiger ist es doch, seine Grenzen zu erkennen und entsprechend zu handeln. Und seine Grenzen kenne ich wahrlich gut und lerne immer noch neue kennen. Situationen, die die meisten Menschen nicht mal bemerken würden, sind für ihn eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Sie verbrauchen seine gesamte Energie und Impulskontrolle. Er ist danach fix und fertig. Natürlich setze ich ihn dem nicht extra aus, nur manchmal lässt es sich trotz aller Vorsicht nicht vermeiden.
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Na und, dann gucken die anderen eben doof oder denken sich ihren Teil. Das hat mich zum Glück noch nie besonders interessiert und interessiert mich heute noch weniger.
Weil ich keinen perfekten Hund habe, bin ich Trainerin geworden
Es wird im Hundetraining so viel unter den Teppich gekehrt und beschönigt und getan, als wäre immer alles einfach und rosarot. Es werden gerne die Erfolge gefeiert, doch die Misserfolge verschwiegen - egal welcher Philosophie die Trainer angehören mögen.
Denn als Hundetrainer steht man unter einem besonderen Druck, denn die Öffentlichkeit erwartet von ihnen perfekte Hunde zu haben - und zu denen kommen die Kunden. Der gesellschaftliche Druck ist nicht zu unterschätzen.
Und was ein perfekter Hund ist, ist landläufig auch klar: Einer, der brav mittrabt, keinen Mucks von sich gibt, sich auf seinen Menschen konzentriert, der Sitz und Platz macht und dem alles andere egal ist. Also eigentlich sowas wie ein batteriebetriebener Stoffhund, nur leiser.
Und wie die Trainer mit ihren Hunden dann dahin kommen, falls sie je dahin kommen, interessiert leider die wenigsten. Die Menschen sehen meist nur das Ergebnis - ein "funktionierender", "parierender", "braver" Hund -, aber nicht den ängstlichen, unsicheren, gehemmten, oft "gebrochenen" Hund, der nicht selten dahinter steckt und der lustlos neben seinem Menschen dahinschleicht.
Nun, ich bin Hundetrainerin und habe keinen perfekten Hund. Na und? Ich stehe dazu. Es ist eher anders herum: Weil ich keinen perfekten Hund habe, bin ich Trainerin geworden. Und meinen Hund in einer anderen Familie gäbe es schon längst nicht mehr!
Aversive Methoden sind keine Alternative
Den aversiv trainierenden Besserwissern der Marke "Dem musst du einfach nur mal zeigen, wer der Chef ist", sage ich: Ihr habt nichts!, aber auch nichts verstanden. Mein Hund unter der Knute wäre eine unberechenbare, tickende Zeitbombe. Der ist nämlich von der Sorte derer, die sich zur Wehr setzen. Also dann eine immer härtere Hand, bis er endlich "pariert"?
Erziehung über Druck, Hemmung und Angst ist für mich keine Alternative zur positiven Verstärkung, die, so könnten jetzt jene behaupten, die tatsächlich keine Ahnung davon haben, versagt hat. HAT SIE NICHT! Im Gegenteil: Ohne sie wäre Willi nie so weit gekommen, wie er gekommen ist!
Mein Willi ist wie er ist. Ich romantisiere und beschönige nichts und sage "das ist gut so". Ich sage nur, ich bin auf dem Weg zu akzeptieren, dass er so ist. Und das wird uns auf dem Weg des positiven Trainings und in unserer persönlichen Entwicklung weiterbringen!