Als Hundebesitzer lässt es sich nicht vermeiden: Im Laufe jahrelanger, täglicher Gassigänge lernt man zwangsläufig andere Hundebesitzer und ihre Hunde kennen. Und recht bald stellt man fest, dass man gruppenzwangsverdonnert wird, Teil einer streckenweise eigenartig anmutenden Gemeinschaft zu werden, die ihrer ganz eigenen Logik folgt und festen Ritualen frönt.
Il ne fait rien
Den Spruch „Der tut nix“, den haben wir garantiert alle schon gehört oder selber mal gebraucht. Was soll man auch sonst sagen, wenn der Hund unangeleint nun mal unheimlich gerne Radfahrer zu mehr Tempo anspornt oder vor lauter Philanthropie an anderen hochspringt, wenn man doch genau weiß, dass das energisch hinterherbefehligte „ICH HAB DIR SCHON 1000 MAL GESAGT, DU SOLLST ES SEIN LASSEN,“ eigentlich sowieso noch nie was gebracht hat.
Mit Abgabe des Welpen oder bei Übergabe des Tierheimhundes ins neue Heim scheint der Der-tut-nix-Satz irgendwo ins Welcome-Paket mit eingeschmuggelt worden zu sein und sich von dort eigenständig und selbstläuferisch fest in den menschlichen Sprachschatz einzunisten. Typisch deutsch ist der übrigens nicht. Den gibt’s auch in anderen Sprachen. In Frankreich kam gleich ein fröhliches „Il ne fait rien“ zur Begrüßung, als ich versuchte, den intakten geilen Rüden von meinem gut riechenden Kastraten abzupflücken.
Is das'n Rüde?
Ob man will oder nicht, man kommt definitiv in Kontakt mit anderen Hundebesitzern, und der Ablauf dieser Gespräche folgt irgendwie einem geheimen Code.
Während sich Herrchen vor einem aufpflanzt, jeden Fluchtweg versperrt und dezentes Zurückweichen mit unsensiblem Nachrücken kontert, fragt er zunächst ein ganz klein wenig misstrauisch: „Is das’n Rüde???“
Der inhaltliche Gehalt dieser Frage ist in etwa gleichzusetzen mit dem englischen „How are you?“. Es wird nämlich nicht wirklich eine Antwort erwartet, denn egal mit welcher man aufwartet, das Gespräch nimmt sowieso fast immer den gleichen, scheinbar festgeschriebenen Verlauf mit weiteren schnell getakteten Fragen und Feststellungen:
Ist er oder sie kastriert / läufig / dominant / groß und schwarz / jung / etwa so ein Kampfhund / stur/schlau/träge/verfressen/lebhaft, weil einer bestimmten Rasse angehörig…
Am Ende aber kommt das Gegenüber dann fast immer zu der Conclusio, dass einem gemeinsamen Spiel der Hunde nun nichts mehr entgegen stünde – ein ganz klein wenig ungeachtet der Tatsache, dass
der fremde Hund sich längst entschieden hat lieber zähnefletschend und brüllend in der Leine zu hängen und man selber ganz sicher ist, dass es sich gerade nicht wirklich um eine
Spielaufforderungsgeste handelt und ihm scheinbar mehr der Sinn nach Fresse polieren steht.
Die regeln das schon unter sich
Aber auch dagegen ist natürlich ein verbales Kraut gewachsen: „Das macht der nur an der Leine“, ist die garantierte selbstbewusst-joviale Erklärung für das empörte Verhalten des Pöblers und dass es ohne Leine viel einfacher sei. Denn:
„Die regeln das schon unter sich“ und „klären einfach mal kurz die Hierarchie, schließlich sind das ja Hunde“.
Es wird kein Zweifel gelassen: Man kennt sich aus, schließlich kann man auf 30 Jahre Hundeerfahrung zurückblicken.
Lehnt man das Angebot dann trotz aller freundlicher Bemühungen des Gegenübers dennoch ab und tritt die Flucht nach hinten an, tönt einem häufig
noch ein enttäuschtes „Ihr armer Hund! Der muss doch Sozialkontakte haben!“ hinterher.
Zukünftig braucht man sich beim lokalen Hundegassitreff - bei dem 10 Erwachsene in Fachsimpeleinen über Spritzwasserflaschen vertieft sind, während sich ihre 15 Hunde so nett über die Wiese mobben und alles unter sich klären - nicht mehr blicken zu lassen. Der Ruf „Guck mal, das ist die, die ihre Hunde nicht mit anderen spielen lassen möchte, die meint wohl, mit ihrer dummen Klickerei ist die was Besonderes“ eilt einem für immer voraus.
Aber zum Glück ist das zu verschmerzen, trifft man ja schließlich überall auf neue Hundebesitzer (und deren Weisheiten).
Geht man mit seinem Hund an der Leine und bittet einen anderen Hundebesitzer, seinen Hund anzuleinen, kann man fast ein Monatsgehalt verwetten, dass man IMMER einen verständnislosen bis störrischen Blick, gefolgt von einem „Der will nur spielen!“ erntet. Meist wird nicht mal der müde Versuch gestartet, den Hund abzurufen, abzuholen geschweige denn anzuleinen.
Tipps für umme
Auf Herrchens Stirn macht sich zunächst Verwirrung breit, wenn man erwähnt, dass es zwar sein kann, dass der andere nur spielen will, aber der eigene (angeleinte) Hund, der mit Herannahen des
anderen so langsam in den Kampfstimmungsmodus wechselt, nicht so gerne spielen möchte, sondern eher etwas Abstand bräuchte.
Guter Rat ist gewöhnlich teuer, zum Zeitpunkt dieses Gesprächsmomentes ist er aber zum Glück a) ganz für umme und b) so sicher wie das Amen in der Kirche, denn jetzt befindet sich Herrchen wieder auf vertrautem Terrain und rät: Man solle doch mal eine Hundeschule aufsuchen und dem Hund auf jeden Fall mal zeigen wer der Chef wäre.
Die einzige gut funktionierende Maßnahme bei der Suche nach Abstand zu rückrufresistenten Tutnixen und ihren belehrfreudigen Menschen, ist das Tragen eines Maulkorbes beim eigenen Hund. Plötzlich sind große Bögen und das hektische Heranrufen des eigenen Hundes überhaupt gar kein Problem mehr. Das funzt prima.
Ja, die Welt der Hundemenschen ist irgendwie ebenso verhaltensoriginell wie viele Hunde selber. Warum das so ist, darauf habe ich ehrlich keine Antworten.
Hunde an der Leine kein Zufall?
Ich persönlich bin viel zu faul, fremden Menschen gute Ratschläge zu erteilen, also leine ich meine Hunde einfach an und gehe etwas zur Seite, wenn uns ein angeleinter Hund entgegen kommt.
Ganz manchmal denke ich auch sowas wie: Ob die wohl einen Grund dafür hat, dass der angeleint ist? Ob der vielleicht krank sein könnte? Frisch operiert? Abstand zu anderen braucht? Flöhe hat? Zu
stürmisch ist? Angst hat? Flüchten geht?
Dann habe ich so die vage Idee, dass jeder angeleinte Hund womöglich aus bestimmten Gründen an der Leine geht und nicht einfach nur aus Jux und Dollerei. Ich frage nicht danach. Ich ertrage das
irgendwie ganz stoisch. Wie gesagt, ich bin ja auch viel zu mundfaul.
Ich zwinge auch niemandem den supersozialen Sozialkontakt meiner Hunde auf. Ich denke mir so im Stillen, die werden anderweitig schon genug Sozialkontakt haben, wenn sie ihren Hund nicht zu uns
lassen möchten. Oder auch nicht. Aber es ist ja auch nicht meine Aufgabe, das für sie zu entscheiden.
Auch bin ich viel zu geizig, die Reinigung für schlammverkrustete Hosen anderer Leute zu zahlen. Und ab und an dringt in mein hundeverliebtes Gehirn ein Geistesblitz vor, der mir eingibt, dass es
möglicherweise ja Menschen geben mag, die es unverständlicherweise nicht so mit Hunden haben, die sogar Angst haben mögen und gar nicht so arg darauf stehen, angeschnüffelt, abgeschleckt oder
besprungen zu werden.
Rücksicht aus purer Faulheit
Ich persönlich finde das zugegebenermaßen ja schon ganz schön schwierig nachzuvollziehen, gibt es doch nix Schöneres, als den speichelfädenziehenden Sabberkuss eines Hundes.
Aber dennoch beschleicht mich ganz selten ein winziger Anflug von Einfühlungsvermögen. Und deshalb rufe ich meine Hunde, bequem wie ich bin, an die Seite, wenn andere Menschen oder Fahrradfahrer kommen. Die warten dann da und freuen sich auf ihr Leckerli. Die Menschen sind erstaunlicherweise immer ganz oft total erleichtert und bedanken sich. Die sind echt schräg drauf.
Aber was soll’s, ich sagte ja schon, ich bin ein fauler Simpel. Alles andere wäre mir persönlich viel zu aufwendig und kompliziert.