Auf der Liste der hündischen „Unarten“ aus Sicht der Hundehalter, vor allem aber auch der Nichthundehalter, steht das Anspringen des Menschen ganz weit oben. Und in der Tat: Die meisten Hunde springen an Menschen hoch – als Trainerin kann ich davon ein Liedchen singen. Dass das Anspringen nicht immer lustig ist, ist jedem klar. Nicht immer trägt man olle Hundeklamotten, bei denen es egal ist, wieviel Pfotenabdrücke darauf zu sehen sind. Aber ganz ehrlich? Volle Kanne angesprungen zu werden ist auch ungeachtet der Dreckspuren auf der Kleidung nicht wirklich angenehm. Mich jedenfalls macht das manchmal echt raderdoll – allerdings weniger wegen des Anspringens selber, sondern weil ich das dazugehörige menschliche Verhalten ausgesprochen bemerkenswert finde.
Es gibt ja berühmte Hundetrainer, die das Hochspringen von Hunden an Menschen als respektlos bezeichnen - meiner Meinung nach eine unverschämte Verschiebung von Verantwortlichkeiten und ein weiteres wunderbares Beispiel klassischer Vermenschlichung: Als Mensch mag einem das Anspringen vielleicht respektlos erscheinen; aus Sicht des Hundes ist das jedoch mehr als fraglich: Das setzte nämlich voraus, dass Hunde ein Verständnis und Gefühl für das entwickeln könnten, was Menschen landläufig unter Respekt (und Rücksicht) verstehen. Meines Wissens nach ein bis dato wissenschaftlich noch nicht nachgewiesenes Empfinden. Solange behaupte ich, dass Hunde Menschen nicht anspringen, weil sie respektlos sind, sondern schlichtweg, weil sie es so gelernt haben.
Eine klassische Szene im Hundetraining:
Ein Hund an der Leine möchte mich begrüßen, spurtet auf mich los und – springt mich an. Gehe ich alsdann einen oder zwei Schritte zurück, um das Anspringen zu verhindern, gibt das andere Ende der Leine dieser fast automatisch mehr Spiel, so dass es der Hund bequemer hat, mich ein zweites Mal anzuspringen, während der dazugehörige Mensch fröhlich über die Erfolge und Misserfolge der letzten Woche plappert. Weiche ich wieder zurück, rückt der Mensch erbarmungslos nach – ohne jedoch die Leine zu verkürzen und ohne den Sinn meiner zugegebenermaßen subtilen Art der Kommunikation zu erfassen. Der Hund springt mich ein drittes Mal an, während der Mensch zu lamentieren beginnt: „Ach, immer musst du alle anspringen, das sollst du doch nicht!“ Irgendwann während dieses eigenartigen Rituals beschließe ich, unmissverständlich zu werden: „Ok, du bleibst jetzt bitte mal da stehen und lässt den Hund nicht näher kommen“ und gehe erneut ein paar Schritte zurück, um das unvermeindliche Anspringen endlich zu unterbinden. Doch anscheinend gibt es einen unabänderbaren Automatismus, einen Code, ein angeborenes Verhalten womöglich, das sich einfach nicht unterbrechen lässt, sobald es einmal ausgelöst wurde. Und ich rede jetzt nicht vom Hund! Denn egal was ich sage, Mensch mit Hund werden magisch angezogen – ich bleibe chancenlos ;)
Ich beschreibe übrigens keine Ausnahme und übertreibe ausnahmsweise auch mal nicht. Ich beschreibe eine Standardsituation, die in fast jedem Training – egal ob bei Anfängern oder Fortgeschrittenen – zu beobachten ist.
Wenn man es wirlich mal ganz streng betrachtet, ist das Verhalten der Hunde ganz sicher nicht respektlos, das ihrer Menschen möglicherweise aber schon.
Ich klinge jetzt sicherlich ernster als ich es tatsächlich meine, dennoch halte ich das Anspringen-Zeremoniell für ein leicht schizzophrenes Phänomen, das ich aus verschiedener Hinsicht noch immer nicht in seiner Gänze verstehe. Die Menschen beschweren sich einerseits darüber, dass ihre Hunde andere Menschen anspringen, tun andererseits aber alles Erdenkliche, um ihnen das Verhalten zu ermöglichen. Eine weitaus logischere Möglichkeit wäre es ja zum Beispiel, die Leine stets so lang oder kurz zu halten, dass der Hund gar nicht erst die Möglichkeit bekäme, an anderen hochzuspringen. Klingt nicht nur einfach – ist es auch! Theoretisch. Eine wichtige Rolle spielt aber gewiss die Kunst der geteilten Aufmerksamkeit. Es ist schwierig gleichzeitig zu reden / zuzuhören und auf den Hund zu achten sowie ihn zu händeln.
Erst anspringen lassen, dann schelten?
Dennoch ist es die Aufgabe des Menschen, den Hund nicht erst in eine blöde Situation rennen zu lassen, um ihn danach zu schelten. Alternativ könnte man ihm sagen, was er anstelle tun soll, und man könnte vor allem aufhören, das Hochspringen zu verstärken. Wie oft wird ein Hund im Leben dafür belohnt, dass er hochspringt? Wie oft wird er, wenn er aufrecht am Körper des Menschen steht, gestreichelt, angelächelt, liebkost und durchgewuschelt? Wieviel Aufmerksamkeit bekommt ein Hund, der an einem Menschen hochspringt?
Der Mensch benimmt sich in diesem Fall dem Hund gegenüber sehr unfair: Kleine Welpen dürfen Menschen anspringen, weil sie so süß sind, kleine und mittelgroße Hunde werden unzählige Male von klein auf für dieses Verhalten belohnt. Ein häufig ungeschicktes Leckerli-Handling – das Leckerli wird in der Regel viel zu hoch gehalten, statt es auf Nasenhöhe des Hundes zu verabreichen – sorgt ebenfalls für das regelmäßige Hochspringen des Hundes. Hunderte, ja, tausende Male wird Hochspringen verstärkt. Es wird für den Hund zu einem enorm lohnenswerten Verhalten! Wieso also sollte er es nicht tun? Aus Respekt?
Wäre der Mensch ernsthaft daran interessiert, das Verhalten abzustellen, dann würde er mit aller Konsequenz dafür sorgen, dass der Hund weder die Gelegenheit dazu bekäme, noch würde er ihn dafür belohnen, wenn er es dann doch mal schaffte. Er würde konsequent ein Alternativverhalten aufbauen, wie zum Beispiel ein Sitzen. Der Hund würde nur noch gestreichelt und liebkost, wenn er säße, niemals jedoch auch nur angelächelt, wenn er hochspränge. Ja, es ist machbar. Es ist trainierbar, und es ist nicht mal besonders schwierig. Nicht einmal bei portugiesischen Wasserhunden, denen gerne nachgesagt wird, dass Hochspringen ein genetisch verankertes Verhalten sei und somit untrainierbar – was natürlich totaler Quatsch ist. Portugiesische Wasserhunde springen ebenso gerne an Menschen hoch wie alle mittelgroßen bis kleinen Hunde dies tun. Und sie können genauso lernen auf allen Vieren zu bleiben wie alle anderen Hunde auch.
Es liegt also nicht an den Hunden, wenn sie andere Menschen anspringen, es handelt sich vielmehr um eine Hundehaltervolkskrankheit, der aber mit einem kleinen Trick hervorragend beizukommen ist, wenn alle positiv verstärkten Trainingsansätze nicht fruchten wollen. Strafe funktioniert manchmal eben doch, wenn sie rechtzeitig angekündigt wird und unmittelbar erfolgt: Für jedes Anspringen gibt es 5 Euro in die Kaffeekasse – nur schon die Androhung der Strafe beschert mir die volle Aufmerksamkeit der Menschen und ich kann darauf wetten, dass mich zumindest in der Stunde kein Hund mehr anspringen wird ;)